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Eigenschaften der Opfer

Doch noch bevor Robinus Marxus anfing zu programmieren, widmete er einen Abend und eine halbe Flasche Rotwein etwas anderem. Wenn man Software entwickelt entstehen nämlich für den Programmierer normalerweise Leerläufe. Es dauert, wenn der Computer mit einem Compiler das menschenleserliche Programm in ein computerleserliches Programm umwandelt. Und auch manche Tests dauern einfach, und der Mensch muss warten.

Diese Wartezeit wollte Marxus bereits für seine Recherche nach einem geeigneten Ziel verwenden. Dafür brauchte er noch nicht sein Spurenverwischsystem einerseits weil er sowieso nur auf öffentliche und frei verfügbare Information zugriff, andererseits weil es am Internet sogenannte anonymizing Proxies gibt, die jeder verwenden kann, um seine Herkunft anderen Rechnern gegenüber zu verbergen. Diese lassen sich aber nur für Web-Seiten verwenden, und sind auch nicht immer ganz vertrauenswürdig.

Um jedoch gezielt nach einem oder mehreren Opfern suchen zu können, musste er sich erst einmal überlegen, was ein geeignetes Ziel für sein Vorhaben sein konnte.

Grundsätzlich wollte Robinus Marxus in den Computern von Buchhaltungen von Firmen Mitarbeiter oder sonstige Dinge, die regelmäßige Bezahlungen bekommen, erfinden, und die zugehörigen Gelder auf eines der Konten leiten, die ihm der Orden besorgen sollte.

Damit es in einer Firma Schattenmitarbeiter geben kann, die nur in der Buchhaltung bestehen, ohne dass das auffällt, muss die Firma schon eine gewisse Mindestgröße haben, oder ausreichend verteilt sein. Erste Eigenschaft seiner Opfer war für Marxus auf jeden fall, dass es sich um eine große Firma handeln müsste, oder um eine Firma, bei der die Buchhaltung zum Beispiel in eine Tochterfirma ausgelagert war. Marxus ging davon aus, dass dann die Kommunikation zwischen der Buchhaltung und dem Rest schlecht genug war, dass ein fiktiver Mitarbeiter nicht auffallen würde.

Mit den Konten zu den fiktiven Mitarbeitern könnte es jedoch noch ein anderes Problem geben. Die Konten, die ihm der Orden besorgen würde, würden wahrscheinlich, und eigentlich hoffentlich nicht alle in einem Land sein. Das hieß aber, dass die Gehaltsauszahlung unter Umständen eine Auslandsüberweisung sein würde, und so etwas könnte in einer Personalbuchhaltung doch leicht auffallen. Meißt sind fast alle Mitarbeiter aus dem Land, in dem sich die Firma befindet, und die Mitarbeiter der Niederlassungen werden in der Regel auch von der Buchhaltung der Niederlassung bezahlt. Er musste also ein oder mehrere Organisationen finden, bei denen eine Auslandsüberweisung für die Gehaltszahlung keine Besonderheit darstellte.

Zweite Eigenschaft seiner Opfer: Auslandsüberweisung für Gehaltszahlung ist durchaus normal. Solche Firmen waren wahrscheinlich gar nicht so leicht zu finden. Zu diesem Zeitpunkt tippte Marxus darauf, dass er wohl am ehesten bei Firmen fündig werden würde, bei denen es üblich ist, Mitarbeiter auch einmal ein halbes Jahr ins Ausland zu schicken, zum Beispiel um dort eine Maschinenanlage aufzustellen. Er dachte daher in erster Linie an die Petrochemie, aber auch an Firmen, die ganze Kraftwerke, oder Flughäfen bauten. Da müsste doch was zu finden sein.

Marxus wollte seinen Zielen auch fiktive Mietobjekte oder sonstige Dinge unterschieben, die regelmäßig zu bezahlen waren. Das war wiederum relativ einfach, weil er hier wieder nur die entsprechende Größe der Firma brauchte, als dass die Buchhaltung nicht so genau wusste, was im Rest des Unternehmens vor sich ging.

Die bisherigen Kriterien waren nicht so tragisch. Groß und Auslandsüberweisung für Gehälter, doch als Marxus nocheinmal seine Gedankengänge überprüfte, viel ihm noch etwas auf. Manche Firmen, zum Beispiel im Bereich von Unternehmen, die zum Teil oder ganz dem jeweiligen Staat gehörten, in dem sie waren, oder bei Unternehmen, die an einer Börse notierten, gab es sehr strenge Vorschriften, wie diese regelmäßig von unabhängigen Spezialisten wirtschaftlich zu überprüfen seien. Und ein Wirtschaftsprüfer würde unter Umständen seine fiktiven Mitarbeiter und Mietobjekte finden. Seine Ziele sollten daher auch nicht unbedingt einer zu strengen Kontrolle unterliegen. So etwas unter den großen Firmen zu finden war wahrscheinlich nicht mehr einfach, und was für ihn noch dazukam, wie sollte er beurteilen, ob eine Firma streng, oder gar nicht überprüft würde. Das würde noch eine deutliche Herausforderung werden.

Das Problem mit der Kontrolle ließ ihn noch einige Zeit nicht los. Wenn er nicht wusste, ob eine sonst geeignete Firma einer strengen und regelmäßigen Wirtschaftsprüfung unterlag oder nicht, wie konnte er es herausfinden? Oder gab es da vielleicht noch eine ganz andere Möglichkeit? Wie geht so ein Wirtschaftsprüfer vor? Wie konnte er herausfinden, wie ein Wirtschaftsprüfer vor ging? Und konnte er vielleicht seine Veränderungen so gut machen, dass sie von einer normalen Wirtschaftsprüfung nicht erkannt würden? Marxus beschloss, das Kriterium Wirtschaftskontrolle vorerst als zweitranging einzustufen, und sich über die Vorgangsweise von Wirtschaftsprüfern schlau zu machen. Dazu brauchte er nur mit dem Wirtschaftler in seiner Firma zu unterhalten.

Robinus Marxus schenkte sich Wein nach. Er hatte das starke Gefühl, dass er mindestens noch ein Kriterium vergessen hatte. Natürlich gab es noch eine Reihe von technischen Eigenschaften, die seine Ziele haben sollten, aber die konnte er anhand öffentlicher Information nicht überprüfen. Das waren vor allem Fragen der eingesetzen Betriebssysteme und Applikationsprogrammen. Das würde er erst sehen, wenn er wirklich anfangt, sich bei seinen Zielen hineinzuhacken. Aber das Gefühl, irgendein Kriterium für seine Opfer übersehen zu haben, ließ ihn nicht los.

Die Auswahl der falschen Ziele könnte sein Projekt scheitern lassen, und trotzdem kam er nicht dahinter, welche Eigenschaften ihm noch fehlten, oder vielleicht auch nur eine Eigenschaft, irgendetwas hatte er vergessen.

Dass seine Opfer natürlich einen Internetanschluss haben müssten musste er natürlich nicht extra notieren.

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23.08.2008 19:27