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Voriges Kapitel

Es ist vorbei

Am nächsten Morgen war Peter Schneider für seine Verhältnisse sehr früh im Büro. Bereits um 10 Uhr saß er mit einer Tasse Kaffee vor seinem Schreibtisch und überlegte, wie er nun weiter vorgehen sollte.

Er hatte eine Firma, die schon mehrere Jahre verdächtigt wird, mit der organisierten Kriminalität zusammenzuarbeiten. Er hatte aufgrund eines richterlichen Befehls Konto- und Sozialversicherungsdaten, und durch einen Vergleich dieser Daten wusste er auch, dass zumindest ein Mitarbeiter dieser Firma wahrscheinlich gar nicht existierte. Eine gute Methode, versteckte Geldtransaktionen durchzuführen. Außerdem wusste er von einem Konto, auf das diese Überweisungen erfolgten. Von diesem Konto wusste er weiter, dass es sehr ungewöhnlich war. Immerhin wurden darauf Gehaltszahlungen von mehreren Firmen überwiesen und auch sonst etliche Transaktionen durchgeführt, deren Zahlungszwecke sehr unglaubwürdig erschienen.

Besagtes Konto dürfte darüber hinaus eher zweifelhaften Ursprungs sein, und wurde ausschließlich über Internet-Banking verwendet. Die Zugriffe des Internet-Banking erfolgten scheinbar aus allen Ecken des Internets, jedoch immer von Computern, die an Kabel-Internet-Anbietern angeschlossen waren. Durch die Untersuchung von zwei dieser Anschlüsse lag die Vermutung sehr nahe, dass diese Computer nur als Sprungbretter zur Tarnung verwendet wurden.

Außerdem hatte Peter Schneider eine Telefonnummer mit zugehörigem Namen und Adresse des Inhabers, von der aus zumindest eine der indirekten Verbindungen zum Internet-Banking-Rechner aufgebaut wurden. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit handelte es sich dabei um jene Person, die die Transaktionen auf diesem ominösen Konto durchführte.

Von dieser Beweiskette, die von einer Firma mit vermutlichen Verbindungen zur organisierten Kriminalität zu jener Person führte, die Peter Schneider für den Urheber und Organisator der Geldwäsche hielt, konnte er aber nur einen kleinen Teil ganz legal verwenden, nämlich die Überweisungen und die Sozialversicherungsdaten der Firma. Die Informationen aus Deutschland waren zwar ziemlich sicher richtig, aber von zweifelhaften Ursprung, und seine Vorgangsweise bei dem österreichischen Internetprovider war auch nicht ganz sauber. Aber er war sehr froh, diese Zusammenhänge überhaupt herausgefunden zu haben. Um den vermeintlichen Geldwäscher Dingfest zu machen, würde er unbedingt ein Geständnis brauchen, die Indizienkette würde vor einem Gericht ziemlich sicher nicht halten.

Peter Schneider fing an, Informationen über seinen Verdächtigen einzuholen. Die Daten im Polizeicomputer waren nicht sehr aussagekräftig. Keine Vorstrafen, niemals angeklagt, keine Demonstrationen, über zehn Jahre verheiratet, Kinder, in 15 Jahren Führerschein nur einmal falsch geparkt, so brav konnte doch niemand sein. Das einzig leicht auffällige war, dass er legal eine Pistole besaß. Diese Informationen waren zu wenig, er musste unbedingt mehr herausfinden.

Der Verdächtige kannte sich gut aus mit dem Internet, und musste es daher sicher schon länger benutzen. Vielleicht hatte er dort seine Spuren hinterlassen. Peter Schneider rief eine der bekannten Suchmaschinen auf, und tippte den echten Namen von Robinus Marxus ein. Er bekam sehr viele Ergebnisse.

Bei der Durchsicht der Ergebnisse fielen Schneider aber ein paar Widersprüche auf. Der Mann konnte nicht zugleich bei einer privaten Firma in Wien und als Assistent an der Universität in Innsbruck unterrichtet haben. Noch dazu einmal als Programmierer, und das andere Mal im Bereich der Geologie. Offensichtlich hat er da mehrere Personen mit dem selben Namen gefunden. Dass hier mindestens acht verschiedene E-Mail-Adressen aufschienen, verwunderte Schneider wieder weniger, immerhin haben viele Menschen mehrere Adressen. Aber er war sich sicher, dass die Daten, die er sah, von mindestens zwei, wahrscheinlich sogar drei oder vier verschiedenen Personen mit gleichem Namen stammten.

Trotzdem konnte sich der Polizist mit der Information ein relativ gutes Bild von seinem Verdächtigen zusammenreimen. Er hatte es auf jeden Fall mit einem wirklichen Internet-Experten zu tun, der auch noch als solcher bekannt war.

Und in diesem Zusammenhang kam Schneider der Geistesblitz für seinen nächsten Schritt. Wenn sein Verdächtiger als Experte bekannt war, würde es wohl kaum auffallen, wenn er als Polizist diesen Experten um Hilfe bitten würde. Einmal in Kontakt mit dem Verdächtigen, und der Rest würde sich irgendwie von selbst ergeben.

Schneider rief gleich in der Firma bei Robinus Marxus an. Die Firma und auch die Zugehörige Telefonnummer wusste er von seiner vorherigen Suche am Internet. Natürlich war sein Verdächtiger nicht sofort zu erreichen, sondern in einer Besprechung außer Haus, aber er würde natürlich gleich danach zurückrufen. Der Polizist wartete ungeduldig.

Mitten in seiner Besprechung bei einem großen Kunden - es ging um einen sehr interessanten Auftrag - bekam Robinus Marxus eine SMS auf sein lautlos geschaltetes Mobiltelefon. "RR Polizist Schneider unter ...", lautete die Nachricht, die ihn doch eher beunruhigte. Was wollte ein Polizist von ihm? Sind seine Aktivitäten schon entdeckt worden? War sein Spurenverwischsystem doch nicht so gut? Diese und ähnliche Fragen gingen in seinem Kopf herum.

Während der restlichen Besprechung war Marxus nicht mehr sehr konzentriert und er hätte beinahe auch einen großen Fehler gemacht, aber er schaffte es irgendwie, die nächste halbe Stunde zu retten, bis das Treffen endlich beendet war. Sobald er im Auto war, wollte Robinus Marxus den Polizisten zurückrufen.

Auf dem Weg zum Parkplatz fiel dem Experten aber noch etwas ein. Wie konnte er wissen, dass er wirklich einen Polizisten anrufen würde. Vielleicht war das gar kein echter Polizist, sondern irgendwer, der sich aus unerfindlichen Gründen als Polizist ausgeben wollte. Vielleicht testete ihn auch der Orden, oder sonst irgend jemand, der mehr über ihn herausfinden wollte.

Marxus suchte eine Telefonzelle und blätterte im Telefonbuch nach dem Stichwort Polizei. Wenn er wirklich einen Polizisten zurückrufen sollte, dann musste die Nummer, die er bekommen hatte wohl auch im Telefonbuch stehen. Nach kurzer Suche fand er sie auch. Das sprach einmal dafür, dass er es wirklich mit der Polizei zu tun hatte. Jetzt wollte er noch herausfinden, ob es einen Hrn. Schneider wirklich in der Wirtschaftspolizei gab. Man wusste ja nie.

Endlich in seinem Auto klemmte Robinus Marxus sein Handy in die Freisprecheinrichtung und wählte die Nummer ohne Durchwahl. Die Vermittlung würde wohl wissen, welche Mitarbeiter sie hatte. Wenn er dort weiterverbunden würde, dann müsste es diesen Polizisten wohl wirklich geben. Und er wurde sofort und problemlos zu Peter Schneider weiterverbunden.

Peter Schneider bat Robinus Marxus nach einer kurzen Begrüßung und Vorstellung seiner Person um Hilfe. Er hätte im Zuge einer Ermittlung ein paar Log-Files, zu denen er die Meinung des Experten bräuchte, und diese Aussage war nicht einmal gelogen. Marxus, der für den Rest des Tages keine weiteren fixen Termine hatte, bot an, sofort zu Schneider ins Büro zu kommen, doch dieser wollte das Gespräch lieber in der Nähe des Computers führen, von dem aus die Zugriffe auf die Konten wahrscheinlich erfolgt sind. Das verriet er natürlich nicht. Und da der Polizist wusste, wo Marxus wohnte, erlog er einen Termin, den er am Nachmittag in der Nähe des Wohnsitzes seines Verdächtigen hätte.

Der Ort kam Marxus sehr gelegen, in diesem Fall könnte er einfach früher nach Hause fahren, und dort in der Gegend den Polizisten treffen. Doch dieser Vorschlag gefiel Schneider auch nicht sehr. Man würde doch vielleicht im Internet nachschauen müssen, wem bestimmte IP-Adressen gehörten, könnte man sich da nicht gleich bei Marxus zu Hause treffen? Dem hilfreichen Experten blieb nichts anderes über, als einem Treffen in seinem Privatbereich zuzustimmen. Man legte noch die Zeit fest, und das Gespräch wurde beendet.

Für Marxus verging die Zeit im Büro sehr schnell. Er hatte so viel zu tun, dass er gar nicht dazu kam, über seinen Termin am Abend viel nachzudenken. Außerdem war es für ihn nicht sehr verwunderlich, dass ihn als Experte jemand von der Polizei um Hilfe bat. Und er wollte ja gern der Exekutive Helfen, Verbrecher ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Da musste er aber auch gleich etwas einschränken. Er meinte natürlich nur Kriminelle, die sich selbst bereicherten. Er sah sich selbst nicht wirklich als Verbrecher, auch wenn er genau genommen einer war.

Der einzige Gedanke, der ihn zwischendurch doch etwas beschäftigte war, wie er herausfinden könnte, dass er wirklich mit einem Polizisten sprach. Er hatte noch nie zuvor einen Polizeiausweis gesehen, und rechnete damit, dass Schneider in Zivil kommen würde. Und selbst wenn er in Uniform kommen würde, könnte diese von einem Kostümverleih sein. Marxus rief sogar einen befreundeten Anwalt an, ob der ihm einen Tipp geben könnte, doch dieser wusste auch nicht wirklich weiter.

Während Marxus fast in Arbeit unterging, bereitete sich Schneider sorgfältig auf sein Treffen am Abend vor. Er kopierte alle nötigen Unterlagen, sodass er die Originale in der versperrten Schublade seines Schreibtisches lassen konnte, und durchdachte einige Szenarien, wie das Gespräch wohl ablaufen konnte. Da sein Verdächtiger auch Waffenbesitzer war, steckte er gegen seine Gewohnheit sogar die Dienstwaffe ein.

Robinus Marxus kam etwas früher als notwendig nach Hause. Er hatte ganz vergessen, dass seine Frau heute ihre Damenrunde hatte, und die Kinder bei den Großeltern waren. Das kam ihm aber sehr zu Gute, da würden sie wenigstens nicht gestört sein. Er nahm sich noch einen kleinen Imbiss und ging in sein Arbeitszimmer, um das nötigste zusammenzuräumen. Sicherheitshalber wollte er auch noch überprüfen, ob wirklich keine Spuren seiner eigenen Hacker-Tätigkeit zu finden waren. Das wäre wirklich sehr dumm, wenn ein Polizist bei einem Besuch in anderem Zusammenhang zufällig über seine nicht ganz legalen Tätigkeiten stolpern würde. Marxus richtete noch zwei Gläser und Mineralwasser her, und setzte sich gemütlich ins Wohnzimmer, um auf den Polizisten zu warten. Dabei beschäftigte ihn immer noch die Frage, wie er feststellen könnte, ob sein Besuch wirklich ein echter Polizist war.

Ebenfalls mehr als rechtzeitig nahm Peter Schneider seine vorbereitete Aktenmappe unter den Arm und machte sich auf den Weg. Da sein Ziel mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, die er sonst immer benutzte, nicht sehr gut zu erreichbar war, hatte er sich noch einen zivilen Dienstwagen ausgeborgt und staute sich durch den Abendverkehr. Immer noch rechtzeitig parkte er ein und ging die letzten Schritte. Das unauffällige Auto auf der anderen Straßenseite, in dem zwei ebenso unauffällige, aber sicher kräftige Männer saßen, nahm er nicht wirklich wahr.

Als es an der Tür läutete, hatte Robinus Marxus wenigstens eine Idee, wie er versuchen könnte, die Identität des Polizisten wenigstens ein wenig zu überprüfen. Er öffnete die Tür zunächst nur soweit, wie es der Sicherheitsriegel zuließ, grüßte, und bat um den Polizeiausweis. Er sagte auch, dass er zunächst versuchen wollte, den Ausweis zu überprüfen, und schloss die Tür wieder.

Marxus schrieb sich die Dienstnummer auf, und wählte die Notruftelefonnummer der Polizei. Er meldete sich mit Namen und Adresse und teilte der freundlichen Person am anderen Ende mit, dass eine Person in Zivilkleidung vor seiner Tür stand und behauptete, Polizist zu sein. Könne man ihm irgendwie helfen festzustellen, ob es sich bei dieser Person wirklich um einen Polizisten handle, er hätte einen Ausweis, der ein echter, aber ebenso gut ein gefälschter Polizeiausweis sein könnte. Er hatte so etwas ja noch nie in den Händen.

Die Person am anderen Ende der Leitung machte ihn auf mehrere Sicherheitsmerkmale des Ausweises aufmerksam, die denen ähnlich sind, wie sie auch im Reisepass verwendet werden, konnte aber nicht weiterhelfen, ob zum Beispiel die Dienstnummer echt sei, und wie dieser Beamte wohl aussehen würde.

Auch wenn die Sicherheitsmerkmale des Ausweises durchaus in Ordnung zu sein schienen, war Marxus noch immer nicht zufrieden. Er rief bei der Telefonvermittlung der Dienststelle von Peter Schneider an, und bat, man würde ihm diesen Beamten kurz beschreiben. Erst als diese Beschreibung auch wirklich passte, ließ er den Polizisten ein.

Peter Schneider, der die beiden Telefonate fast vollständig mitgehört hat, war von dieser Überprüfung eher irritiert, musste sich dann aber mit der Erklärung zufrieden geben, dass Marxus sicher gehen wollte, wirklich nur die Polizei, aber sicher keine Kriminellen zu unterstützen. Immerhin ging es ja vermutlich um ein sensibles Thema. Der erste Eindruck des Verdächtigen ließ in Peter Schneider bereits leichten Zweifel aufkommen, ob er es hier wirklich mit einem Geldwäscher der organisierten Kriminalität zu tun hatte. Er hatte nicht mit einem so freundlichen und entgegenkommenden Mann im Anzug mit Krawatte gerechnet, der obwohl zunächst sehr vorsichtig in der Frage, mit wem er es zu tun hatte, in der Folge sehr offen und ehrlich zu sein schien.

Auf dem Weg ins Arbeitszimmer entschuldigte Marxus nochmals für die Verzögerung durch die Überprüfung, erzählte aber auch von einem ihm bekannten Fall, in dem ein Branchenkollege von ihm offensichtlich von einem Geheimdienst kontaktiert worden war. Marxus wollte verhindern, dass ihm so etwas passierte.

Der Internet-Experte und der Polizist setzten sich im Arbeitszimmer vor den Computer und Marxus bot Getränke an, während Schneider die ausgedruckten Log-Files auspackte.

Der Polizist erklärte Marxus, dass es sich bei den Log-Daten wahrscheinlich um die relevanten Informationen handle, die zu Zugriffen auf ein Konto einer deutschen Bank gehörten. Dieses Konto dieser Bank könnte mit der organisierten Kriminalität und Geldwäsche in Verbindung stehen, und es wäre daher nötig herauszufinden, wer, das heißt, welche Person, welcher Internet-Account oder welche E-Mail-Adresse dahinter stünde.

Marxus breitete die Zetteln chronologisch geordnet auf dem Schreibisch aus, und suchte sich Stifte in verschiedenen Farben. Dann fing er zunächst an, gleiche IP-Adressen mit gleicher Farbe anzuzeichnen und mit Pfeilen anzumerken, ob die Verbindung zu, oder von diesem Rechner kam. Die Ports, die in diesen Verbindungen verwendet wurden, waren ausgesprochen außergewöhnlich, und zeigten keine Muster. Allgemein konnte Marxus nur nach zeitlichen Zusammenhängen analysieren, und brauchte relativ lang, bis ihm langsam klar wurde, dass er eigentlich seine eigenen Spuren untersuchte, und gerade dabei war, sich selbst aufzudecken. Schneider saß gemütlich in seinem Sessel, und trank von Zeit zu Zeit von seinem Mineralwasser. Marxus fragte sich, ob er mehr wusste, als er zugab.

P>Als der in diesem Moment als Computerexperte um Hilfe gebetene merkte, dass er gerade im Begriff war, sich selbst eine Schlinge um den Hals zu legen, überkam ihm innerlich Panik, und er bemühte sich sehr, nach außen die Daten mechanisch weiter zu Untersuchen. Innerlich überlegte er angestrengt, was er nun machen könnte. Zunächst dachte er über die bisherigen Aussagen des Polizisten nach, um herauszufinden, ob der Polizist wirklich nicht Bescheid wusste, oder ob das eine Falle war. Für den Fall einer Falle war er sowieso gefangen, aber auch für den Fall, das der Schneider noch nicht die wirklichen Hintergründe herausgefunden hatte, würde er sich mit einer falsche Analyse der Log-Files nur verdächtig machen. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Schneider schien jedes Wimpernzucken zu beobachten.

Marxus konnte seine Überlegungen jedoch vorerst nicht beenden. Es läutete an der Tür. Da er aber keinerlei weiteren Besuch erwartete, und seine Familie noch länger nicht nach Hause kommen würde, verblüffte ihn dieses Läuten sehr. Aufgeregt, wie er war, weil ihm die Polizei schon sehr auf den Fersen war, erschreckte ihn dieser zusätzliche Besuch eher. Er hatte aber seine Gefühle gut im Griff, und ging zur Haustür. Schneider blieb im Arbeitszimmer.

Statt einer Antwort auf die Frage, wer da sei, hörte und sah er nur, wie die Tür von außen aufgebrochen wurde, und plötzlich zwei kräftige Männer vor ihm standen. „Wir sollen dir schöne Grüße von der Firma ausrichten, die Du bestohlen hat. Merk Dir, dass man so etwas bei der organisierten Kriminalität besser nicht macht“, schrie einer Marxus an, „wir wollen sofort unser Geld zurück!“ Marxus versuchte möglichst rasch zurückzuweichen, doch das half ihm auch nichts. Noch bevor er wirklich verstand, was da vor sich ging, hatte er den ersten kräftigen Faustschlag in die Magengrube bekommen.

Als friedlicher Mensch war Robinus Marxus Schlägereien nicht gewohnt, er hatte in seinem Leben noch nie eine, und besonders sportlich war er auch nicht, wodurch die Schläge umso mehr schmerzten. Er konnte nur noch schreien.

Peter Schneider hörte den Krach der aufbrechenden Tür, und ging langsam Richtung Vorzimmer. Irgendetwas stimmte hier nicht. Vollkommen ungewohnt, und genauso ungeschickt wie während seiner Ausbildung nahm er seine Waffe aus dem Holster und befürchtete, sie auch einsetzen zu müssen. Das war eine Horrorvorstellung für den Wirtschaftspolizisten, doch was sollte er jetzt machen. Offensichtlich wurde sein Gastgeber mittlerweile geschlagen, und irgendwas von wegen schöne Grüße von der organisierten Kriminalität hatte er auch gehört. Das gefiel ihm überhaupt nicht.

Peter Schneider nahm all seinen Mut zusammen, bog um die letzte Ecke und schrie wie im schlechten Fernsehkrimi „Polizei, Hände hoch und keine Bewegung“. Durch die Anordnung der Türen im Vorzimmer schnitt er damit zugleich den ungebetenen Besuchern auch den Fluchtweg ab. Sie erkannten ihre aussichtslose Situation und die Pistole von vorne, was auch für sie ein sehr kräftiges Argument war, und ließen von Marxus ab, der sich schmerzverzerrt weg von den Schlägern hinter Peter Schneider schleppte. „Sie können damit umgehen!“, meinte dieser zu dem Computerexperten und drückte ihm die Pistole in die Hand, während er selbst sein Handy suchte, und die Kollegen von der Streife rief.

Die beiden Schläger der organisierten Kriminalität wurde abgeführt. Peter Schneider instruierte seine Kollegen kurz, worum es hier gegangen sein könnte, und dass die Festgenommenen möglichst lange mit niemandem Kontakt haben dürften. Keine Telefonate, keine Rechtsanwälte, keine anderen Gefangenen, überhaupt keine Kontakte. Es bestand Verdunklungsgefahr. Der zuständige Kollege von der Kriminalabteilung sollte auch mit seinem Verhör warten, bis er mit ihm gesprochen hatte, hier ginge es um etwas viel größeres, und da musste man vorsichtig sein. Zunächst wollte der Polizist aber noch mit seinem Gastgeber reden, den er wohl vor schlimmeren bewahrt hatte.

Der Notarzt vom herbeigerufenen Rettungswagen konnte keine gröberen Verletzungen feststellen. Die zwei Schläger waren wohl Profis, die genau wussten, wie man möglichst große Schmerzen mit möglichst geringem Schaden am Opfer verursachen konnte. Dadurch hatten sie bessere Karten vor einem Richter, beziehungsweise konnten ihre Opfer länger quälen.

Mit einer verbundenen Platzwunde über dem linken Auge und einem Eisbeutel ging Marxus, mit einer wieder gesicherten und sorgfältig verwahrten Waffe ging Schneider wieder in das Arbeitszimmer. Schneider brauchte gar nicht erst zu fragen, was das wohl sein sollte, und er brauchte auch nicht weiter über die Log-Files nachfragen, Robinus Marxus fing von selbst an zu erzählen.

Er erzählte alles, er erzählte langsam und ausführlich, und er erzählte so, dass auch der Wirtschaftspolizist keine Schwierigkeiten hatte, selbst den technischen Ausführungen zu folgen.

Robinus Marxus begann mit seinem ersten Kontakt zu dem Orden, erzählte, wie ihm die Idee gefiel, und wie er aufgenommen wurde. Er setzte fort mit den Überlegungen, die er sich für sein erstes Projekt gemacht hatte, bis er sich letztendlich für die Forgangsweise mit einem Computereinbruch entschied. Er schilderte die Planung, die Recherchen am Internet, als er diverse Hack-Tools untersuchte, die ersten Versuche in den Kabel-Netzen, wie er zu den Konten gekommen war, wie er selbst die Programme für sein Spurenverwischsystem schrieb, wie er es das erste Mal ausprobierte und wie er es letztendlich soweit automatisierte, dass er sich nicht mehr darum kümmern musste. Hier hatte er den signifikanten Fehler gemacht. Er hatte zugelassen, dass Verbindungen entstehen konnten, die nur über ein Sprungbrett gingen. Er könnte sich in den Hintern beißen.

Nachdem er sich etwas anders gesetzt hatte, um eine andere schmerzende Stelle mehr zu entlasten, setzte er fort wie er seine Ziele ausgewählt hatte, und wie er sie letztendlich angegriffen hatte. Er beschrieb wie er die erfundenen Mitarbeiter und Mietobjekte eingerichtet hatte, und wie er die Kontobewegungen aufeinander abgestimmt hatte. Alles in allem war er stolz auf seine Leistung, nur ein Fehler ließ ihn scheitern, und würde jetzt eine ganze Latte an Schwierigkeiten bringen. Er konnte nur noch auf einen milden Richter hoffen.

Peter Schneider glaubte Marxus sofort, auch wenn er es nicht wirklich sachlich begründen konnte. Marxus war überzeugend, glaubwürdig und schien wirklich ehrlich, und das, obwohl er etwas kriminelles getan hatte. Daher erzählte der Polizist auch, wie er überhaupt auf die Spur seines Gegenübers gekommen war.

Er erzählte von der Firma, die schon seit Jahren im Verdacht stand, für die organisierte Kriminalität Geld zu waschen, die ihre Buchhaltung eigentlich im Ausland hatte, weshalb er nie an diese Daten gekommen war, und von der er nur die Konto- und Sozialversicherungsinformationen hatte. Er schilderte, wie ihm ein Mitarbeiter aufgefallen war, der seinen Namen hatte, aber nicht bei der Sozialversicherung angemeldet war, und der ein Konto in Deutschland hatte.

Weiters beschrieb er, wie ihm ein deutscher Kollege zu Informationen verholfen hatte, die er gar nicht haben dürfte. Er beschrieb, welche Daten er analysiert hatte und wie er einen Techniker eines Internetanbieters dazu brachte, ihm zu helfen. Und er erzählte Marxus auch, wie er letztendlich seine Telefonnummer, seinen Namen und seine Adresse herausgefunden hatte. Den Rest kannte er ja.

Als Peter Schneider mit seiner Geschichte fertig war, fing der Internetexperte an, herzhaft zu lachen. Gegen so viele Zufälle zu verlieren war schon fast wieder eine Ehre. Er hatte wirklich ausgesprochenes Pech gehabt. Marxus wartete nur noch darauf, dass ihn der Polizist festnehmen und seinen Computer beschlagnahmen würde, doch an diesem Punkt wurde er sehr überrascht.

Schneider hatte nämlich kein großes Interesse, jemand das Handwerk zu legen, der nach dem Vorbild von Robin Hood agierte. Er wollte der organisierten Kriminalität einen Schlag versetzen. Während dieses ausführlichen Gesprächs wurde ihm klar, dass Marxus genau die Hilfe leisten könnte, die er brauchte. Er könnte nämlich alle Informationen auftreiben, die der Polizist brauchte. Deshalb schlug dieser ein Geschäft vor.

Peter Schneider und Robinus Marxus vereinbarten also, dass sie zusammenarbeiten würden, um die Daten aufzutreiben, die nötig waren, um zumindest diese Geldwaschmaschine lahm zu legen, auch wenn dies über nicht ganz legale Wege, nämlich über Computereinbrüche über das Internet passieren würde. Wenn der Polizist dadurch einmal die Zusammenhänge durchschaut hatte, konnte er sich die Beweise für das Gericht anders, zum Beispiel durch Hausdurchsuchungen besorgen. Als Gegenleistung dafür würde Schneider alles vergessen, was er über den Orden und die Aktivitäten des modernen Robin Hoods wusste. Es musste nur schnell passieren, damit keine weitere Gefahr für Marxus und seine Familie bestand. Sie vereinbarten ein Treffen für den nächsten Tag, wo sie die weitere Vorgangsweise ausarbeiten würden.

Als seine Frau und die Kinder nach Hause kamen, hatte es Marxus noch relativ schwer, seine Verletzungen zu erklären, aber er verriet nicht die ganze Wahrheit.

Voriges Kapitel

23.08.2008 19:27